Montag, 17. August 2020
1998
Am 9. Mai 1998 trug das Vereinigte Königreich zum achten Mal den ESC aus, Veranstaltungsort war diesmal Birmingham. Die EBU war mit dem Verlauf des Televotings, also der Abstimmung durch die Fernsehzuschauer per Telefon, die im Vorjahr in fünf Ländern probeweise durchgeführt wurde, zufrieden, und so wurde dieses Verfahren jetzt überall durchgeführt, wo dies technisch möglich war. Für den Fall unvorhergesehener Schwierigkeiten (z.B. überlastete Netze) musste jedes Land als Ersatz eine Jury bereithalten, deren Stimmen auch zum Einsatz kamen, wenn sich insbesondere in kleinen Ländern zu wenige Zuschauer an der Abstimmung beteiligten. Die genaue Anzahl der Mindeststimmen wird nicht veröffentlicht. Belgien, Finnland, die Slowakei, Israel und Rumänien waren wieder am Start, und Nordmazedonien nahm erstmals an einem ESC-Finale teil; relegationsbedingt mussten Russland, Dänemark, Bosnien-Herzegowina, Island und Österreich ein Jahr pausieren, Italien zog sich nach einjähriger Teilnahme wieder zurück. Zu den Gastgebern gehörte Terry Wogan, der als langjähriger BBC-Kommentator nicht nur in seinem Land vielen Menschen bekannt war und der sich durch seine oft hochmütigen und abschätzigen Bemerkungen nicht nur Freunde machte.

In Deutschland war das allgemeine Interesse am Wettbewerb, im Gegensatz zu den Vorjahren, sehr groß. Bereits im Herbst des Vorjahres hatte Guildo Horn angekündigt, an der Vorentscheidung teilnehmen zu wollen, und damit die Bevölkerung polarisiert, was von der Bild-Zeitung mit der Überschrift 'Darf dieser Mann für Deutschland singen?' noch verstärkt wurde. Im Laufe der nächsten Wochen war es kaum möglich, diesem Thema zu entgehen, und so siegte das Lied "Guildo hat euch lieb" haushoch; zu den Mitbewerbern bei der Vorentscheidung gehörten Wind, die 1985, 1987 und 1992 beim ESC angetreten waren, und Rosenstolz. In der Zeit vor dem internationalen ESC strahlte das Fernsehen mehrere Sondersendungen aus, und so war es nicht verwunderlich, dass die Einschaltquote deutlich über der der Vorjahre lag. Deutschland belegte Platz 7 im Wettbewerb, das beste Ergebnis seit 1994, und das Lied erreichte Platz 4 der Verkaufslisten; höher war zuletzt 1982 "Ein bisschen Frieden" notiert. Trotz dieser Erfolge waren viele Anhänger eher enttäuscht, die Unterstützung Guildo Horns nahm nach dem ESC rapide ab. Autor des Beitrags war Stefan Raab, der sich das Pseudonym 'Alf Igel' gab; im Wettbewerb wirkte er als Dirigent mit.



Guildo Horn war der erste ESC-Interpret, der während seines Auftritts die Bühne verließ und direkt mit dem Publikum interagierte; hierbei kann man sehen, dass erstmals auch Fans anwesend waren, von denen einige Transparente hochhielten. In den Folgejahren wurden letztere immer mehr durch die jeweiligen Landesflaggen ersetzt. Zu den Personen, die Guildo Horn aufsucht, gehört auch die viermalige Moderatorin Katie Boyle.

Die Kroatin Danijela eröffnete den Abend mit ihrem Lied "Neka mi ne svane" und überraschte mit ihrem Trickkleid, durch das im Laufe ihres Liedes aus dem schwarzen ein weißes Kleid wurde. Sie belegte Platz 5.



"Hemel en aarde", interpretiert von Edsilia Rombley, kam für die Niederlande auf Platz 4; das war für das Land das beste Ergebnis seit dem Sieg 1975.



Der Wechsel von den Jurys zur Publikumsabstimmung bewirkte auch, dass wesentlich mehr temporeiche Lieder im Wettbewerb vertreten waren. Da wirkte Chiara aus Malta fast wie ein Gegenpol; ihr ruhiges Liebeslied "The one that I love" kam, vielleicht auch wegen der entschleunigenden Wirkung, gut an und belegte Platz 3. Und vielleicht brachte das Augenzwinkern am Ende ja auch ein paar Stimmen?



Die Schweiz belegte den letzten Platz mit 0 Punkten, Schweden erwies in seinem Beitrag der im Vorjahr verunglückten britischen Prinzessin Diana die Ehre, und Zypern vergab 12 Punkte an Griechenland, das ansonsten aber keine Wertungen erhielt.

Bei der Punktevergabe sorgte ein Dialog unfreiwillig für Heiterkeit: Die niederländische Sprecherin Conny Vandenbos erwähnte, dass sie selbst auch einmal ESC-Teilnehmerin war - der Zusatz "vor langer Zeit" ging im Applaus unter, so dass er von der Moderatorin wiederholt wurde. Dies aber wurde von den Zuschauern so aufgefasst, als sei ihr "A long time ago" ein Kommentar gewesen - sinngemäß: "Das muss aber schon lange her sein", weshalb ein Raunen durch das Publikum ging. Die deutsche Wertung wurde von der Sängerin Nena verlesen, und Spanien vergab durch ein technisches Versehen die 12 Punkte nicht an Deutschland, sie wurden nachträglich hinzugefügt, sodass Guildo Horn am Ende nicht, wie aus der Anzeigetafel ersichtlich, Platz 8, sondern Platz 7 belegte.

Die Stimmabgabe erwies sich als Kopf-an-Kopf-Rennen, das am Ende Israel knapp für sich entscheiden konnte. Die dortige Interpretin Dana International sorgte im Vorfeld für ebenso viel mediales Interesse wie Guildo Horn, denn sie war transsexuell, also in einem männlichen Körper geboren und wurde deshalb insbesondere in Israel selbst, und da speziell von orthodoxen Juden, stark kritisiert. Der Rest der Teilnehmerländer hatte offenbar weniger Probleme damit, und so erreichte Israel zum dritten Mal in seiner ESC-Geschichte Platz 1. Der Siegertitel hieß "Diva", zur Wiederholung des Liedes am Ende der Veranstaltung trug Dana International ein speziell für diesen Anlass von Jean-Paul Gaultier entworfenes Kleid.

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