Freitag, 21. August 2020
2003
Zum zweiten Mal in Folge fand der ESC 2003 in einem baltischen Land statt, er wurde am 24. Mai in Riga, Lettland, ausgerichtet. Zwei frühere ESC-Teilnehmer waren die Gastgeber des Abends, nämlich die Vorjahressiegerin Marie N und Renārs Kaupers, Sänger der Gruppe BrainStorm, die Lettland 2000 vertreten hatte. Die Kapazität des Wettbewerbs stieß an ihre Grenzen, gleich fünf neue Länder hatten Interesse an einer Teilnahme bekundet, zu viele, um das bisherige Relegationssystem aufrecht zu erhalten. Man beschloss deshalb, vom Folgejahr an ein neues Verfahren einzuführen und vertröstete die neuen Aspiranten bis dann - lediglich die Ukraine bekam einen zusätzlichen Startplatz. Irland, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Island und Polen kehrten zum Wettbewerb zurück, dafür mussten die Schweiz, Dänemark, Finnland, Litauen und Nordmazedonien pausieren. Somit ergab sich ein neuer Teilnehmerrekord von 26.

Bei der deutschen Vorentscheidung fehlten im Gegensatz zum Vorjahr die prominenten Namen, lediglich Die Gerd-Show hatte sich durch Comedy-Auftritte im Radio und durch den "Steuersong", der im Herbst 2002 Platz 1 der Verkaufslisten erreichte, einen Namen gemacht. Der Sieg ging an "Let's get happy", gesungen von Lou, die überwiegend als Sängerin von Cover-Bands bei Volksfesten auftrat. Beim ESC belegte sie Platz 11.



Für großes Aufsehen sorgte das Duo t.A.T.u aus Russland, einerseits, weil es im Vorjahr einen internationalen Nr.-1-Hit mit "All the things she said" hatte, andererseits und insbesondere aber durch bewusste Skandale während der Probenwoche; so absolvierten sie keine der Proben gemeinsam, angeblich wegen Unpässlichkeiten, und gaben sich während der Pressekonferenzen betont gelangweilt. Die Antworten überließen sie ihrer Managerin, die nicht müde wurde zu betonen, dass aus Russland der erfolgreichste Musikact der Welt komme - sinngemäß müsse die Menschheit dafür dankbar sein, dass sich das Duo herablasse, beim ESC aufzutreten. Zu dieser Arroganz zählt auch, dass t.A.T.u ihren Wettbewerbstitel "Ne ver, ne boisia" nicht auf Single veröffentlichten. Die Techniker in der Halle rächten sich für die ausgefallenen Proben durch (vermutlich bewusst) ungeschickte Kameraführungen. Das Lied belegte Platz 3.




Die belgische Gruppe Urban Trad und ihr Lied "Sanomi" blieben während der Proben weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit, da diese zeitgleich mit den russischen Pressekonferenzen stattfanden, und so war die Überraschung groß, als das Lied, das kaum jemand auf der Rechnung hatte, Rang 2 belegte und sich damit vor Russland platzierte. Das gesamte Lied wurde in einer Phantasiesprache gesungen, hat also keinen sinnvollen Text, sondern behandelt die menschlichen Stimmen wie Musikinstrumente.



Gleich zwei der Interpreten sorgten für eine Diskussion: Esther Hart wurde bei der britischen ESC-Vorentscheidung bereits als Teilnehmerin geführt, zog ihre Bewerbung dort aber zurück, als sie die Möglichkeit bekam, ihr Heimatland, die Niederlande, zu vertreten; anders verhielt sich die Gruppe Ich Troje, denn sie stand als Vertreter Polens bereits fest, als sie quasi zusätzlich an der deutschen Vorentscheidung teilnahm, die sie bekanntlich nicht gewann. Um zu verhindern, dass ein Interpret bei einem Wettbewerb mehrere Länder vertritt, wurde eine neue Spielregel eingeführt, die genau das untersagt. Ich Troje sangen ihr Lied "Keine Grenzen - żadnych granic" dreisprachig auf Deutsch, Polnisch und Russisch und belegten Platz 7.



Irgendjemand sagte einmal, dass sich die österreichischen ESC-Beiträge zwischen 'merkwürdig' und 'bemerkenswert' bewegen. 2003 traf sicher beides zu, als Alf Poier in steirischem Dialekt "Weil der Mensch zählt" sang, u.a. begleitet von der 68jährigen Kabarettistin Tamara Stadnikow. Platz 6 war das unerwartet gute Ergebnis.



Das Vereinigte Königreich belegte erstmals in der ESC-Geschichte den letzten Platz, und das auch noch mit 0 Punkten, was einige Beobachter aus diesem Land durch die Beteiligung des Landes am Irak-Krieg zu entschuldigen versuchten. Haben diese Leute versucht, sich "Cry baby", interpretiert ('gesungen' wäre hier vielleicht nicht angebracht) von Jemini, einmal neutral anzuhören, und wenn ja, haben sie eine einzige richtig getroffene Note gehört?



Die Wertung verlief sehr spannend, vor der letzten Punktevergabe, der slowenischen, konnten noch drei Lieder gewinnen, nämlich Russland, Belgien und die Türkei. Der Punktesprecher, Peter Poles, nutzte die Aufmerksamkeit für eine komödiantische Einlage, als er mit den Worten 'here I go' scheinbar das Studio verließ.



So gewann die Türkei erstmals den ESC; die Sängerin und Co-Autorin Sertab Erener war in ihrer Heimat bereits ein großer Star, mit "Everyway that I can" gelang ihr auch international ein Achtungserfolg.


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