Mittwoch, 29. Juli 2020
1971
Der ESC 1971 fand am 3. April in Dublin statt; das Wertungssystem wurde geändert, mehr dazu später, weshalb die fünf Boykotteure des Vorjahres zurückkamen, außerdem nahm Malta erstmals teil, sodass erstmals seit 1966 wieder 18 Beiträge am Start waren. Gastgeberin des Abends war Bernadette Ní Gallchoír, die ungewöhnlicherweise sitzend moderierte.

Der Wettbewerb wurde, gerade bei jungen Zuschauern, immer populärer, und die EBU trug diesem Umstand Rechnung, indem jetzt auch Gruppen teilnehmen konnten – wie berichtet, war dies zuvor nur unter Anwendung von Tricks möglich, offiziell waren bislang nur Solisten und Duos erlaubt. Die neue (bis heute gültige) neue Regel sah vor, dass maximal sechs Personen auf der Bühne sein durften, egal, in welcher Funktion – neben Gruppen waren also auch Chorsänger, Instrumentalisten, Tänzer oder sonstige Statisten erlaubt. Die Teilnehmer machten hiervon allerdings zur zögerlich Gebrauch; die Schweiz entsandte ein Trio, Schweden eine vierköpfige Gruppe. Das erste Land, das das volle Kontingent ausschöpfte, war auf Startnummer 5 Deutschland, das der Sängerin Katja Ebstein einen fünfköpfigen Chor zur Seite stellte. Das deutsche Fernsehen hatte sie aufgrund des großen Erfolges im Vorjahr direkt nominiert, sie hatte in einer Fernsehsendung fünf Lieder zur Auswahl präsentiert. Die Jury entschied sich für „Diese Welt“, beim ESC belegte Katja Ebstein, wie schon 1970, den dritten Platz.



Für Österreich sang Marianne Mendt den Beitrag „Musik“ im Wiener Dialekt, Malta wählte Maltesisch (dort ist auch Englisch Landessprache), und zwei Lieder hatten ungewöhnliche Themen: Während Luxemburg die Wonnen, in einen Apfel zu beißen, besang, gab sich Jugoslawien sehr ernst, indem es von den Leiden eines Jungen berichtete, dessen Familie von der Mutter verlassen worden war. Der belgische Beitrag „Goeiemorgen, morgen“ sollte ursprünglich von Nicole & Hugo gesungen werden, die damit auch die nationale Vorentscheidung gewonnen hatten; Nicole erkrankte allerdings kurz vor der Sendung, sodass für die beiden Jacques Raymond & Lily Castel einsprangen. Diese nahmen das Lied allerdings nie kommerziell auf, sodass die Schallplatte von Nicole & Hugo besungen wurde. Diese beiden kamen zwei Jahre später zu ihrem ESC-Einsatz.

Spanien belegte Platz 2, das Vereinigte Königreich Platz 4, beide Länder waren schon zum vierten bzw. fünften Mal in Folge in der Spitzengruppe vertreten. Für Spanien sang Karina „En un mundo nuevo“, für das Vereinigte Königreich war Clodagh Rodgers mit „Jack in the box“ zu hören.





Das Wertungssystem war, wie schon erwähnt, komplett anders als in den Vorjahren. Erstmals seit 1956 waren wieder zwei Juroren pro Teilnehmer vor Ort anwesend. Einer von ihnen musste älter als 25 Jahre sein, einer jünger, und der Unterschied musste mindestens 10 Jahre betragen. Jeder von ihnen gab allen Liedern außer dem aus dem eigenen Land mindestens einen und höchstens 5 Punkte; dies musste sofort nach dem Vortrag der Lieder geschehen, eine nachträgliche Änderung war nicht möglich. Das Ergebnis war dem Oberschiedsrichter also schon bekannt, bevor die Juroren am Ende der Sendung ihre Wertungen öffentlich präsentierten; die vorherige Registrierung hatte auch den Vorteil, dass es eine zügige und fehlerfreie Übertragung auf die Anzeigetafel gab. Der Sieger des Abends war das Lied „Un banc, un arbre, une rue“, das die Französin Séverine für Monaco sang. Offenbar hatte dort niemand damit gerechnet, und das monegassische Fernsehen war auch wenig erfreut, weil in dem kleinen Land keine geeignete Veranstaltungshalle vorhanden war. So kam es, dass Séverine, die nach eigenem Bekunden vorher noch nie in Monaco war, auch nach ihrem Sieg nicht dorthin eingeladen wurde. In den Folgejahren hatte sie ihren Karrieremittelpunkt nicht in ihrem Heimatland, sondern in Deutschland, wo sie mit Stimmungsschlagern wie „Jetzt geht die Party richtig los“ vor allem in der ersten Hälfte der 1970er sehr erfolgreich war.

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