Sonntag, 26. Juli 2020
1968
Zum dritten Mal richtete das Vereinigte Königreich den ESC aus, zum dritten Mal wurde er in London ausgetragen, und zum drittem Mal moderierte Katie Boyle, aber zwei Dinge waren am 6. April 1968 neu: Erstmals war Großbritannien als Vorjahressieger Gastgeber, und erstmals wurde der Wettbewerb in Farbe produziert und, wo dies schon möglich war, auch ausgestrahlt.

Selten nahmen aktuell populäre Künstler am ESC teil, zu groß war die Befürchtung, dass eine schlechte Platzierung Einfluss auf die Karriere haben könnte, und selbst von diesen kann man nur wenige als Weltstars bezeichnen, aber 1968 trat das auf Cliff Richard zweifellos zu. Bereits seit mehr als 10 Jahren war er erfolgreich, und er ist bis heute der Einzige, der in fünf verschiedenen Jahrzehnten jeweils mindestens einmal Platz 1 der britischen Verkaufslisten erreichte. So war er der unangefochtene Favorit, als der sein Heimatland mit „Congratulations“ vertrat, und selbst die Buchmacher waren von seinem Sieg so überzeugt, dass sie keine Wetten mehr darauf annahmen,



Als größter Konkurrent wurde Frankreich angesehen, denn dessen Beitrag „La source“ wurde von Isabelle Aubret, der Siegerin von 1962, gesungen.



Und auch in Deutschland gab aufgrund der immer größer werdenden Popularität des Wettbewerbs die Plattenindustrie ihren Widerstand auf, und so konnten auch hier aktuell erfolgreiche Teilnehmer gewonnen werden, allerdings wurden sie wieder direkt nominiert: Die Norwegerin Wencke Myhre hatte seit einigen Jahren auch in Deutschland Hits wie „Beiß nicht gleich in jeden Apfel“, und als Komponist und Dirigent konnte Horst Jankowski verpflichtet werden, dessen „Schwarzwaldfahrt“ 1965 eines der wenigen deutschen Werke war, die auch international erfolgreich waren. „Ein Hoch der Liebe“ erreichte Platz 6, das beste Ergebnis des Landes seit 1962, und vor allem wurde es auch in den Verkaufslisten notiert, was seit 1963 kein deutscher Beitrag mehr geschafft hatte.



Der Norweger Odd Børre sang ein Lied namens „Stress“, und er unterstrich den Sinn seines Liedes, indem er immer wieder Silben am Zeilenanfang wiederholte und auch insgesamt einen gestressten Eindruck machte.



Udo Jürgens trat zum fünften Mal in Folge für Österreich beim ESC in Erscheinung, diesmal allerdings als Komponist. Das von ihm geschriebene „Tausend Fenster“ wurde vom Tschechen Karel Gott gesungen, im Jahr des Prager Frühlings war das auch ein politisches Zeichen.



Beim luxemburgischen Duo beschloss die Frau, konsequent knapp die Töne zu verfehlen, und die beiden Herren aus Jugoslawien erschienen in traditioneller Landestracht. Für Aufsehen sorgten einige Mitarbeiter der ausrichtenden BBC, die verkleidet bei den Proben erschienen und sich als albanische Delegation ausgaben. Ihnen wurde tatsächlich Gelegenheit gegeben, die Bühne zu benutzen, der Schwindel flog erst auf, als eine Jazzversion von „Congratulations“ angestimmt wurde.

Vermutlich aufgrund der zahlreichen Beiträge, die in den Vorjahren keine Punkte erhalten hatte, kehrte man zum zuletzt 1961 verwendeten Wertungssystem zurück, das heißt, wieder vergaben 10 Juroren in jedem Land jeweils eine Stimme. Zunächst lagen, wie erwartet, Frankreich und das Vereinigte Königreich vorn, als Deutschland als vorletztes Land abstimmte, ging aber plötzlich Spanien mit einem Punkt Vorsprung in Führung. Jugoslawien, das als letztes aufgerufen wurde, vergab an keinen der drei Erstplatzierten Stimmen, sorgte aber dafür, dass diesmal kein Land leer ausging. So war die Überraschung, für viele Beobachter sicher sogar eine Sensation, perfekt: Spanien gewann den ESC 1968. Das Lied „La, la, la“ sollte ursprünglich von Joan Manuel Serrat gesungen werden, dieser beabsichtigte aber, es auf Katalanisch vorzutragen, was vom Regime des Landes nicht erlaubt wurde. So wurde kurzfristig Massiel verpflichtet, die das Lied dann auf Spanisch – genauer gesagt auf Kastilisch – vortrug. Es gibt Gerüchte, das spanische Fernsehen habe die deutsche Jury bestochen und von dort mehrere Fernsehsendungen gekauft, die dann nie gezeigt wurden, dies wurde allerdings nie bewiesen. Ein Trost für Cliff Richard: „La, la, la“ wurde ein Achtungserfolg, „Congratulations“ wurde weltweit ein Hit.

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