Dienstag, 21. Juli 2020
1963
Frankreich hatte den ESC dreimal in fünf Jahren gewonnen und zweimal ausgerichtet; man bat daher, 1963 nicht Gastgeber sein zu müssen. Wieder, wie drei Jahre zuvor, sprang das Vereinigte Königreich stattdessen ein, wieder war London der Austragungsort, und wieder war Katie Boyle die Gastgeberin.

Die Veranstaltung fand am 23. März in zwei benachbarten Hallen statt; in einer befanden sich die Moderatorin und das Publikum, in der anderen wurden die Lieder aufgeführt. Auffällig ist, dass keine Mikrofone sichtbar waren, zudem verliefen die Umbauten zwischen den Liedern erstaunlich schnell. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Beiträge im Playback-Verfahren aufgezeichnet wurden; hierfür spricht auch, dass sie alle den Studio-Versionen verdächtig ähnlich klingen. Die ausrichtende BBC versichert zwar, dass alle Auftritte regelgerecht absolviert wurden, ich zweifle hieran aber sehr.

Deutschland hatte im Vorjahr mit seinem kommerziell erfolgreichen Lied relativ schlecht abgeschnitten; als Folge hiervon zog die Plattenindustrie ihre bekannten Künstler zurück, und auch die Schlagerfestspiele standen nicht mehr als Vorentscheidung zur Verfügung; beides wurde damit begründet, man befürchte Nachteile für die Interpreten und Lieder im Fall eines schlechten Ergebnisses. Da kam ein eigentlich unerfreuliches Ereignis dem federführenden Hessischen Rundfunk gerade recht: Heidi Brühl wurde von ihrem früheren Management um eine größere Summe betrogen und brauchte jetzt dringend Geld. So beschloss man, die Sängerin direkt zu nominieren, in einer Fernsehsendung stellte sie fünf Lieder zur Auswahl, aus denen die Zuschauer per Postkarte ihren Favoriten wählen konnten. Sie entschieden sich für „Marcel“. Allerdings war Heidi Brühl im Vorfeld der Sendung zeitweise unpässlich, sodass vorsichtshalber auch Margot Eskens alle Lieder einspielte. Heidi Brühl erholte sich und trat beim ESC in London an, Margot Eskens kam drei Jahre später zu ihrem Eurovisionseinsatz.



Am ESC 1963 nahmen, anders als in den Vorjahren, mehrere international bekannte Künstlerinnen teil, interessanterweise keine von ihnen für ihr Heimatland: Die Griechin Nana Mouskouri sang für Luxemburg, die Israelitinnen Esther Ofarim und Carmela Corren für die Schweiz und Österreich, und die Französin Françoise Hardy vertrat Monaco.







Das Wertungssystem wurde, vermutlich wegen der hohen Anzahl an Null-Punkte-Ergebnissen, abgewandelt: Nunmehr vergaben die Jurys an ihre fünf Favoriten 5, 4, 3, 2 und 1 Punkte. Bei der Vergabe sollte zunächst die Startnummer, dann das Land und dann die Anzahl der Punkte genannt werden. Der norwegische Sprecher hielt sich nicht daran und nannte seine Wertungen in einer anderen Reihenfolge. Er konnte zwar alle Punkte vergeben, Katie Boyle bat ihn aber trotzdem, die Punkte noch einmal ordnungsgemäß zu wiederholen. Der Norweger erbat sich hierzu etwas Bedenkzeit und wurde am Ende der Punktabgabe erneut aufgerufen. Die Wertungen, die er jetzt nannte, stimmten aber mit seiner ursprünglichen Angabe nicht überein, sodass plötzlich die Schweiz, die lange in Führung gelegen hatte, von Dänemark überholt wurde, das dann zum Sieger erklärt wurde. Nach der ursprünglichen Stimmvergabe der Norweger hätte die Schweiz gewonnen. Der norwegische ESC-Fanclub OGAE machte sich viele Jahre später auf die Suche nach den Wertungszetteln und bestätigte, dass die zweite Vergabe korrekt gewesen sei, Dänemark also rechtmäßig gewonnen habe. Mich überzeugt das ehrlich gesagt nicht; wie kamen die ursprünglichen Punkte zustande? Und was wäre gewesen, wenn sie akzeptiert geworden wären und sich womöglich später herausgestellt hätte, dass sie fehlerhaft waren? Und warum will das Wort „Nachbarschaftshilfe“ nicht aus meinem Kopf verschwinden?

Wie dem auch sei, Dänemark wird in den Listen als Sieger geführt, der Beitrag „Dansevise“ wurde von Grethe und Jørgen Ingmann interpretiert; ich zögere, die beiden als Duo zu bezeichnen, nur Grethe sang und wurde von ihrem Mann auf der Gitarre begleitet.



Auch das neue System brachte vier Lieder hervor, die keine Punkte bekamen, darunter die nordischen Länder Norwegen, Schweden und Finnland. Auffällig ist der große Unterschied zwischen Luxemburg auf Platz 8 (13 Punkte) und Deutschland auf Platz 9 (5 Punkte).

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