Mittwoch, 15. Juli 2020
1957
Der ESC 1957 fand am 3. März in Frankfurt am Main statt; der Austragungsort wurde von der veranstaltenden EBU festgelegt, das Vorjahresergebnis (das ja auch weitgehend unbekannt ist) spielte hierbei keine Rolle. Erstmals nahmen Lieder aus dem Vereinigten Königreich, Dänemark und Österreich teil.

Zahlreiche Spielregeln wurden geändert; so durfte jedes Land nur noch einen Beitrag einreichen. Neben Solisten durften auch Duos antreten; von dieser Regelung machte der Neuling Dänemark Gebrauch.

Zudem war es den einzelnen Teilnehmern überlassen, wie sie ihre Beiträge ermitteln; seitdem wurden unzählige Methoden ausprobiert. In Belgien beispielsweise stellte ein Sänger drei verschiedene Lieder zur Auswahl. In den frühen Jahren des Wettbewerbs wurden in einigen Ländern die Titel von zwei Interpreten, oft mit unterschiedlichem Arrangement, präsentiert; auch waren die Interpreten des Siegertitels der Vorentscheidung nicht notwendigerweise die, die auch beim internationalen Wettbewerb antraten. Für die Dauer der Lieder gab es noch keine strengen Regeln, sondern die eher vage Richtlinie, dass diese dreieinhalb Minuten nicht übersteigen sollte. Der italienische Beitrag war allerdings mehr als fünf Minuten lang, der britische nicht einmal zwei.

Der Italiener Nunzio Gallo ließ sich bei seinem Lied „Corde della mia chitarra“ - „Saiten meiner Gitarre“ - passenderweise von einem Gitarristen begleiten, dessen Soli die ungewöhnliche Länge erklären. Auch die Niederlande setzten einen Instrumentalisten auf der Bühne ein: Beim Chanson „Net als toen“ trat mit der Sängerin Corry Brokken auch ein Violinist auf. Auch dies führte durch eine Soloeinlage zu einer ungewöhnlichen Länge des Liedes, das auch der Siegertitel des Abends war.



Der deutsche Beitrag „Telefon, Telefon“ wurde von Margot Hielscher gesungen, die überwiegend als Schauspielerin tätig war und so keine Mühe hatte, ein Requisit – natürlich ein Telefon – in ihren Vortrag zu integrieren. Texter des Liedes war übrigens Ralph Maria Siegel; sein Sohn Ralph Siegel wurde einige Jahre später zu einer der prägnanten Personen des Wettbewerbs. In dem Lied kamen einzelne Wörter und Satzteile in mehreren Sprachen vor, was wohl die Internationalität des Mediums, das damals genau wie der Fernseher längst noch nicht zum Standard gehörte, unterstreichen sollte.



Einen anderen Weg ging das dänische Duo Birthe Wilke & Gustav Winckler: Üblicherweise wurden in den frühen Jahren des Wettbewerbs die Lieder in festlicher Garderobe vorgetragen. Das Lied „Skibet skal sejle i nat“ handelte aber davon, dass sich ein Seemann von seiner Partnerin verabschiedet, weil er am Abend wieder abreisen muss. Passend dazu trug er eine Marineuniform, während sie mit einem Trenchcoat bekleidet war. Dass der Vortrag mit einem langen, innigen Abschiedskuss endete, war in den prüden 1950ern ein kleiner Skandal – er schadete den Dänen nicht, sie belegten am Ende Platz 3.



Was den Stil der Lieder angeht, gab es keine wirklichen Richtlinien; allerdings sollte der ESC von Anfang an eine Art Gegenstück zur damals populären Musik, die überwiegend aus Nordamerika und den britischen Inseln kam, sein. So wurde das französische Chanson eine Art Maß der Dinge; Lieder, die „zu amerikanisch“ oder auch „zu kommerziell“ waren oder klangen, waren nicht gern gesehen. So landete der österreichische Beitrag, der an ein Cowboylied erinnerte, auf dem letzten Platz.



Die Wertung verlief ganz anders als im Vorjahr: Jedes Land stellte zehn Juroren, die sich in der jeweiligen Sendeanstalt befanden, also nicht mehr vor Ort waren. Jeder vergab eine Stimme an seinen Favoriten, wobei der Beitrag des eigenen Senders nicht bewertet werden durfte. Die Stimmen wurden dann telefonisch nach Frankfurt übermittelt und auf eine Anzeigetafel übertragen, sodass die Zuschauer jederzeit verfolgen konnten, wer gerade in Führung lag. Bei diesem Wertungssystem konnten sich einzelne Lieder schnell nach vorn arbeiten, wenn sie aus einzelnen Ländern relativ viele Punkte bekamen; so bekam Deutschland sechs seiner insgesamt acht Stimmen aus Frankreich, wodurch es Platz 4 erreichen konnte.




Wie man sieht, gab es kleinere technische Probleme, die aber recht gut gemeistert wurden; interessant finde ich, dass die Moderatorin Anaid Iplicjian zwar durchaus Fremdsprachenkenntnisse bewies, aber den Abend doch komplett auf Deutsch leitete. Zudem wirkte es meiner Meinung nach unhöflich, dass die Siegerplakette am Ende zuerst der Interpretin überreicht wurde, diese sie aber sofort wieder abgeben musste, als sich herausstellte, dass auch der Autor des Liedes anwesend war.

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